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Immer wieder bemängeln Kinder, dass sie im Sonntagsgottesdienst zu kurz kommen

Der Liturgiewissenschaftler Professor Martin Stuflesser bezieht Stellung (Teil 1).

Dass Kinder im normalen Gottesdienst manches nicht verstehen, sei eine ganz normale Erfahrung, sagt Professor Martin Stuflesser vom Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg: „Es gibt einfach Dinge, die sind für Kinder noch zu schwer.“ Genau aus diesem Grund würde er seinem sechsjährigen Neffen nicht den siebten Band der Harry-Potter-Reihe in die Hand drücken, sondern ihn mit Band eins beginnen lassen. „Auch im Kino gibt es Altersempfehlungen. Warum sollte das bei Liturgie anders sein? Der Verständnishorizont eines Neunjährigen ist eben anders als der eines Jugendlichen oder Erwachsenen.“

Geheimnis und verstehen

Darüber hinaus müsse man sich grundsätzlich fragen, was mit „verstehen“ gemeint ist. Auch der durchschnittliche Erwachsene verstehe nicht immer alles im Gottesdienst, so Stuflesser „Denken Sie nur an den Kreuzestod Jesu’ – das kann man nicht vollends verstehen. Man kann sich dem vielleicht ein Leben lang durch eigene Erfahrungen annähern, aber er bleibt Geheimnis.“ Zudem bringe jeder Mitfeiernde seine ganz eigene Geschichte, seine Sorgen und Glücksmomente mit in den Gottesdienst. „Dass alle alles verstehen und jeder sich in jedem Moment der Liturgie wieder findet, ist kaum möglich.“

Durchaus möglich und gewollt ist jedoch, dass ein Gottesdienst nachvollziehbar und vertraut ist. In diese Vertrautheit müssen Kinder Schritt für Schritt hineinwachsen. Möglichkeiten und Modelle gibt es laut Martin Stuflesser viele.

Ein sehr guter Ansatz seien spezielle Kinder- und Familiengottesdienste, die bereits seit Jahren in vielen Gemeinden gefeiert werden. Als niedrigschwelliges Angebot werden die Kinder hier auf ihrem Verständnishorizont durch Symbole, biblische Erzählungen, vertraute Gebete und Gesänge und in kindgerechter Sprache mit Grundelementen des christlichen Glaubens vertraut gemacht. „Ziel ist, die Kinder zu befähigen, irgendwann an der Liturgie der Großen teilzunehmen.“

Doch auch in die sonntägliche Eucharistiefeier sollten Kinder nach Ansicht von Martin Stuflesser immer wieder eingebunden werden. „Ein Gottesdienst, in dem sich alle Gruppierungen und Altersstufen versammeln, soll alle ansprechen und allen die Möglichkeit zur tätigen Teilnahme geben“, betont er und empfiehlt deshalb, Kinder so früh wie möglich am Gottesdienst der Großen partizipieren zu lassen. Das bedeute keineswegs, dass die sonntägliche Eucharistiefeier auf ein kindgerechtes Niveau heruntergebrochen wird. „Aber warum soll nicht schon ein fünfjähriges Kind beim Gottesdienst mit kleinen Diensten helfen können, wenn es das will?“ Bestimmte Lesungen im Kirchenjahr könne man zudem von Kindern lesen lassen. So sei beispielsweise die Berufung des Samuel aus dem Mund eines Kindes ein echter Gänsehautmoment.

Kind- und menschengerecht

In anderen Modellen feiern die Kinder abschnittsweise ihren eigenen Gottesdienst und kommen dann wieder zu den Großen dazu. Ob man den Nachwuchs nun eher zum Wortgottesdienst oder während der Eucharistiefeier herausnimmt, sei letztlich Abwägungssache. „Es gibt nicht die eine Ideallösung, jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile“, so Stuflesser. Als sehr gelungenes Beispiel nennt er die Karfreitagsliturgie in der Würzburger Stadtrand-Gemeinde „Heilig Geist“. Parallel zur Liturgie der Großen gibt es hier eine Kinderkirche im Pfarrsaal. Zur Kreuzverehrung reihen sich die Kinder bei den Erwachsenen ein und legen ihre Blumen vor dem Kreuz ab. Während die Großen dann in der Liturgie fortfahren, gestalten die Kinder gemeinsam kleine Osterkerzen, die bereits auf das Licht von Ostern hinaus weisen.

Das Geheimrezept für eine kindgerechter Liturgie ist damit für Stuflesser ganz einfach: „Wenn wir die Menschen verschiedener Altersgruppen ernst nehmen, wenn wir ihnen etwas zutrauen und ihnen Möglichkeiten der tätigen Teilnahme geben, dann ist Liturgie nicht nur kind- sondern menschengerecht.“

Anja Legge
Würzburger katholisches Sonntagsblatt, Christine Schmitt

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